Die Geschichte von der kleinen Streetart, die auszog um große Kunst zu werden.
Die Geschichte eines Missverständnisses.
Eine Dose Molotow Sprühlack in der Farbe „verkehrsrot“. Eine Dose in der Farbe „tiefschwarz“. Eine Schablone bestehend aus vier 1 mal 1m großen Teilstücken. Eine Herbstnacht, ungemütlich und kalt. Ich wollte und konnte nicht länger warten. Ich machte mich auf den Weg zur S-Bahnbrücke. Das sollte mein bisher größter Coup werden.
Ich war Teil eines Phänomens, das das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends in popkultureller Hinsicht enorm prägen sollte. Es sollte groß werden.
Meine bescheidenen Werke zeigte ich auf Stencil Revolution. Ich checkte täglich den Wooster Collective Blog. Wenn ich durch die Straßen ging, betrieb ich urbanes Fährtenlesen. Sie alle hatten ihre Spuren hinterlassen: Faile, D-Face, OBEY, The London Police, Banksy. Eine Liste, der ich nur zu gerne meinen eigenen Namen hinzugefügt hätte. Doch weitab von der der unbedeutenden Berliner Peripherie, die ich damals meine Heimat nannte, war Streetart im Begriff eine Wandlung zu vollziehen. Während der öffentliche Diskurs vornehmlich von der Frage des Vandalismus bestimmt war, so war es in Streetart-Kreisen der ständig drohende Ausverkauf bzw. die Anerkennung als legitime Strömung der zeitgenössischen Kunst.
Aktuell beschert Banksys Kinodebut Exit Through The Giftshop dem Thema erneute Aufmerksamkeit. So rechnet er zwar in erster Linie mit den Mechanismen des Starkults ab, übt er unterschwellig und auf sehr unterhaltsame Weise jedoch auch Kritik an der Streetart selbst. Diese sucht mittlerweile als Urban Art, als klischeebeladener Frankenstein die Galerien und Museen heim. Banksys Film bestätigt indirekt das, was einige vielleicht schon ahnten, aber nicht wagten auszusprechen: Streetart ist keine Kunst.
In der Kunst wissen wir spätestens seit Duchamps Readymades, dass der Künstler nicht zwangsläufig auch Schöpfer des Werks sein muss.
Das mag für einige eine reichlich provokante Behauptung sein, hatten man doch mit großem Aufwand versucht Streetart vom Stigma das Vandalismus reinzuwaschen.
Die Nullerjahre sahen eine regelrechte Flutwelle an Straßenkunst über die Metropolen der Welt hinwegschwappen. Dabei hat sie, so die Kritiker, auch viel Belangloses angespült. Mittlerweile schmückt selbst das kleinste mecklenburgische Provinzkaff allerlei Schabloniertes und Geklebtes von zweifelhafter Qualität. Um den inflationären Verhältnissen zu entkommen lag nichts näher als sich in Galerien zu retten. So hatte man sich das Prädikat der legitimen Kunst verliehen und sich von der Kakophonie des Mittelmaßes in den Straßen abgegrenzt.
Ganz im Gegensatz zur zeitgenössischen Kunst setzt Streetart eine gewisse Kunstfertigkeit, handwerkliches Geschick voraus, über die sich die Qualität der Arbeit bemisst und bewertet wird. Ganz im Sinne des allseits bekannten Aphorismus kommt Kunst in diesem Fall tatsächlich von Können. Man kann also von einer Art Autorenkünstler sprechen, der jeden Aspekt seiner Arbeit, angefangen bei der Skizze bis zur Platzierung in der Straße, selbst ausführt. Kein Streetartist würde auf die Idee kommen, die Kontrolle über seine Arbeit Dritten zu überlassen. Wer ließe sich ernsthaft diesen Spaß entgehen!?!
In der Kunst wissen wir spätestens seit Duchamps Readymades, dass der Künstler nicht zwangsläufig
auch Schöpfer des Werks sein muss. Die Kunstgeschichte ist in der Hinsicht reich an Beispielen.
Martin Kippenberger gab 1991 „sein“ Paris Bar Bild bei einem Berliner Plakatmaler in Auftrag. Sein Honorar betrug 1000DM. Letztes Jahr wurde das Bild vom Auktionshaus Christie’s, weit über dem Schätzpreis, für unglaubliche 2,7 Millionen Euro versteigert.
Ein weiteres prominentes Beispiel wäre Jörg Immendorf – Gerhard Schröders Haus- und Hofmaler, der in seinen letzten Lebensjahren, geschwächt durch seine schwere Krankheit, Assistenten malen ließ. Eine Praktik, die sich bis in die Werkstätten der alten Meister zurückverfolgen lässt. So wurde im Rahmen des „Rembrandt Research Projects“ bei einigen Werken festgestellt, dass es sich nicht um eigenhändige Arbeiten des Malers handelt.
Romantik, amerikanischer Realismus, Pop Art – Die Kunstgeschichte wird durch den Wolf gedreht und „Streetart“-gerecht aufbereitet.
Banksy treibt dieses Prinzip in seiner Mockumentary auf die Spitze: Thierry Guetta aka Mr. Brainwash, der vom Dokumentarfilmer zum Streetartist avancierte Protagonist beschäftigt eine ganze Armee von Assistenten, die jedes noch so offensichtliche Kunst-Klischee größenwahnsinnige Realität werden lässt. Romantik, amerikanischer Realismus, Pop Art – Die Kunstgeschichte wird durch den Wolf gedreht und „Streetart“-gerecht aufbereitet. Guettas Beitrag beschränkt sich auf ein paar adelnde Farbspritzer, kurz bevor ihm die aufgegeilte Menge die Türen zu seiner Ausstellung einrennt.
Befragt zu Guettas Instant-Erfolg bemerkt Shepard Fairey lakonisch, er habe geschafft wofür andere Jahre gebraucht haben. Angesichts dessen mag so mancher Jünger der ach-so-authentischen Streetart desillusioniert vom Glauben abfallen. Oder er folgt Guetta aus der Glaubenskrise ebenfalls direkt in die Galerie.
Vorreiter waren Anfang der Achtziger Jahre die New Yorker Graffiti Writer. Hip Hop wurde zum ersten Mal größere mediale Aufmerksamkeit zuteil, war jedoch noch weit entfernt von dem Massenphänomen, zu dem es sich viel später entwickeln sollte. Alles aus Downtown schien in Uptown plötzlich hip. Rap, Breakdance, aber vor allem Graffiti, das schon seit einigen Jahren das Stadtbild geprägt hatte, stand nun im Fokus der Kunstszene. Die schillerndsten Persönlichkeiten der New Yorker High Society schienen nicht genug zu kriegen. Um die steigende Nachfrage zu befriedigen, schossen die Galerien wie Pilze aus dem Boden. Vorher nur an New Yorker Hauswänden und Zügen zu bewundern, war Graffiti nun auf Leinwänden Konserviert, bereit in den Privatsammlungen und Museen auf der ganzen Welt zu verschwinden.
Doch so schnell wie der Hype kam, verebbte er auch wieder. Zeitgleich waren zwei Künstler aus dem Dunstkreis der Graffiti-Szene dabei Weltruhm zu erlangen: Keith Haring und Jean Michel Basquiat. Selbst niemals wirklich dem traditionellen Graffiti verhaftet, antizipirten sie jedoch das was in den Nullerjahren als Streetart bekannt werden sollte. Charakteristisch war, der grafische Stil ihrer Tags. Ganz im Gegensatz zu denen der Graffitiwriter, die eher kaligraphischen Charakter besitzen.
Mathias Augustynial, Artdirector bei M/M Paris bemerkt im Interview, die Aufgabe eines Grafikdesigners bestehe letztendlich im Entwickeln von Zeichen zum Zweck der Reviermarkierung.
Basquiat und Haring bedienten sich ganz offensichtlich Techniken der Werbung bzw. der Visuellen Kommunikation. Sie verteilten ihre Tags bzw. Logos (stilisiertes Baby bei Haring; Krone und SAMO Schriftzug bei Basquiat) im Stadtgebiet und traten so ganz explizit und unmittelbar in den Dialog mit dem Betrachter. Dieser bedarf keinerlei „Fachwissen“ um die Tags zu identifizieren und zu verstehen.
Haring erkannte das kommerzielle Potential seiner Kunst. Er entschied sich ganz bewusst dafür sie und auch sich selbst konsequent zu vermarkten. In seinen POPSHOPs verkaufte er, sehr zum Unmut der Kunstszene, allerlei Nützliches und Unnützes versehen mit seinen Motiven. Irgendwann schien es fast schon unmöglich nicht mindestens einen popeligen Schlüsselanhänger zu besitzen, der mit Harings zappelnden Männchen oder strahlenden Babys versehen war.
Mit Kunst dagegen lässt sich nichts verkaufen.
Übertragen auf Streetart mag eine Kommerzialisierung erst einmal antithetisch erscheinen, sahen sich doch ihre Pioniere als Gegenbewegung zum gnadenlosen Ausverkauf des öffentlichen Raums.
So bedienen sich Streetartists Techniken der Werbung um sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.
Berlin, New York, Tokyo, Paris – über die ganze Welt kann ich die Spuren der Künstler verfolgen.
Die Vermutung es handle sich bei ihnen um Werbebotschaften globalisierter Marken wie Coca Cola oder Sony liegt somit nahe. Ebenso wie der Schritt sich ganz in die Dienste der Werbung zu begeben. So wie es einige unter dem Argwohn der eingeschworenen Streetart Gemeinde auch erfolgreich taten. WK Interacts dynamische Illustrationen beispielsweise bescherten nicht nur ihm, sondern auch den Werbekampagnen von Nike oder Adidas Beachtung und damit wohl auch beachtlichen Umsatz.
Was antworten Richard Serras Stahlskulpturen auf mein skeptisches Stirnrunzeln?
Mit Kunst dagegen lässt sich nichts verkaufen. Sie kommuniziert nichts. Sie ist stumm.
Was antworten Richard Serras Stahlskulpturen auf mein skeptisches Stirnrunzeln? Was Bruce Naumans Videos oder die Farbfeldmalerei Marc Rothkos? Wären wir überhaupt in der Lage sie als Kunst zu identifizieren würden sie nicht in einer Galerie oder einem Museum stehen? Würden wir ihnen Bedeutung beimessen hätte uns niemand über ihre tiefschürfende Bedeutung aufgeklärt?
Gleich einem mystischen Götzenbild, spricht das Kunstwerk durch sein Medium, das heißt den Galeristen, Kurator, Kunsthistoriker oder Audioguide. Kunst bedarf um als ebensolche wahrgenommen zu werden, um eine Stimme zu erlangen, der Nobilitierung durch Galerien oder Museen. Außerhalb und auf sich allein gestellt ist Kunst nicht möglich.
Ebenso ist es nicht möglich Streetart in den white cube der Galerie zu sperren, ohne dass sie dabei ihre Stimme verliert. Selbst dann nicht, wenn man sie geschickterweise in Urban Art umtauft.
D-Face bringt das, was Walter Benjamin den Verlust der „Aura“ nannte im Vorwort zu The Art Of Rebellion auf den Punkt:
[…] to take the work out of its urban context means the work nearly always loses something in transition, part of the creativity is how it integrates within the environment, the chosen spot which gives it the finishing touch… There is something missing like the interaction and conflict of the work in location.
Wir stellen also fest, dass sowohl Kunst als auch Streetart kontextgebunden ist.
Streetart gewinnt an Bedeutung durch den Bezug auf ihre Umgebung, in der sie selbstständig in den Dialog mit dem Betrachter tritt.
In der Galerie befindet sie sich in einem semantischen Vakuum. Sie bezieht sich dort auf etwas, das ganz offensichtlich nicht vorhanden ist und im krassen Widerspruch zum Galerieraum steht: den öffentlichen Raum. Denn mehr noch tut sich in der Galerie eine tiefe räumliche, soziale, als auch ökonomische Kluft zwischen Werk und Betrachter auf. Ganz banal fängt das bei den Öffnungszeiten an, also der Tatsache, dass ich die Ausstellungsräume nur zu bestimmten Zeiten betreten kann.
Darüber hinaus bestimmt mein individueller kultureller Hintergrund ob ich überhaupt Zugang suche. Sabine von der Wursttheke werd ich wohl weniger auf einer Vernissage oder im Museum antreffen. Nicht weil sie grundsätzlich desinteressiert ist. Vielmehr ist es diese unsichtbare soziale Schranke in Form ihrer kulturellen Prägung, dem Habitus, der mit der Kunstbetrachtung einhergeht, oder um es mit Bourdieu zu sagen, ihre fehlende Fähigkeit zur „reinen“ Wahrnehmung, die sie davon abhält. In der Galerie kommt es zu einer Segregation, die dem Ethos der Streetart zuwiderläuft.
Die Tatsache, dass Galerien keine Wohltätigkeitsvereine sind wird gerne außer Acht gelassen. Größtenteils handelt es sich um privatwirtschaftliche Unternehmen, darauf bedacht die ausgestellten Werke so gewinnbringend wie möglich zu veräußern. Das was eigentlich allen zugänglich sein sollte ist nun einigen, mit dem nötigen Kleingeld gesegneten Wenigen vorbehalten.
Aus Mangel an Kontext wurden alle noch so ausgelutschten Klischees durchdekliniert um klar zu machen, dass man sich im Geiste noch zur Streetart zählt.
Befürworter werden wohl dagegen einwenden, es handle sich wohlgemerkt um Urban Art und nicht um Streetart. Auf der diesjährigen Urban Art Messe Stroke wurde deutlich, dass sich die begriffliche Abgrenzung als problematisch erweist. Beim Rundgang durch die Ausstellungshalle kam unweigerlich das Gefühl auf die ausgestellten Werke wurden über Nacht mal schnell zusammengebastelt. Aus Mangel an Kontext wurden alle noch so ausgelutschten Klischees durchdekliniert um klar zu machen, dass man sich im Geiste noch zur Streetart zählt. Auffällig waren auch die für zeitgenössische Kunst recht niedrig angesetzten Preise. Bewegten sie sich bei den zeitgleich stattfindenden Konkurrenzveranstaltungen deutlich über meinen finanziellen Möglichkeiten, so waren sie auf der Stroke, ich sag mal, taschengeldgerecht. Einige Ausnahmen wie Danny Gretschers großformatige Arbeiten, auf dem ersten Blick nicht wirklich der Street- bzw. Urban Art zuzuordnen, lagen preislich etwas höher. Im Vergleich aber trotzdem noch überdurchschnittlich, ja fast schon beschwichtigend niedrig angesetzt. Auf diese Weise soll „Streetart“ auch weiterhin für ein großes Publikum erfahrbar bleiben. Nur leider verkommt die Stroke dadurch zu einem besseren Postershop.
Plexiglasscheiben, Kameras und Wachschutz sichern sie vor geschäftstüchtigen Mauerspechten – und natürlich vor Vandalismus.
Vielleicht lässt sich ja damit wenigstens der fleißig betriebene Kunstraub in den Straßen unterbinden. Hausbesitzer bangen um ihre plötzlich im Wert gestiegenen Fassaden, seit sich herumgesprochen hat, dass das was man vor nicht allzu langer Zeit noch kriminalisierte, jetzt schützenswertes, weil wertvolles Kultur- und Handelsgut ist. Plexiglasscheiben, Kameras und Wachschutz sichern sie vor geschäftstüchtigen Mauerspechten – und natürlich vor Vandalismus.
Schon immer ihr größter Star und Kritiker hat der gute Banksy schon früh erkannt, dass sich Streetart in ihrem Krampf um künstlerische Relevanz und Anerkennung in der Bedeutungslosigkeit verliert. Die Frage ist nur ob er das Ende nur prophetisch vorausgesehen hat oder ob er bewusst oder unbewusst dazu beigetragen hat. Exit Through The Giftshop kann man als einen Nachruf sehen. Ich sehe ihn vielmehr als Pflock, der dem untoten Treiben der Streetart endlich ein Ende setzt. Möge sie in Frieden ruhen.
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AntwortenLöschenSo ein Blödsinn. Kunst nur im Kontext? In etwa so aussagekräftig wie "Der Ball ist rund". Insuffiziente Argumentation die sämtliche Theorien über die menschliche Wahrnehmung (und damit auch die Wahrnehmung der Ästhetik) vom zitierten Benjamin bis zum alten Onkel Hegel ignoriert und zwar nicht aufgrund einer Neuorientierung, sondern schlicht aus Unwissenheit wie mir scheint.
AntwortenLöschenMan munkelt es soll tatsächlich eine Ästhetik geben die außerhalb des "White Cube" Wirkung auf die Wahrnehmung von Menschen ausübt. Wie sich davon ein Kunstverständnis ableiten lässt, und welche Position "Streetart" innerhalb dieses Verständnises einnimmt, bedarf auf jeden Fall einer größeren Trennschärfe in der Diskussion.