Ich würd mich ja nicht unbedingt als den Prototypen des arroganten Großstädters bezeichnen, der sich über allerlei Zugezogenes Pack aus den Provinzen der Republik aufregen muss. Hier bei mir im Wedding ist Berlin noch Berlin und wenn hier irgendwann mal gentrifiziert werden sollte, dann wird das wohl auch von Berlinern ausgehen. Die mit viel Verachtung gestraften Schwaben sind ja drüben im Prenzlauerberg auch gut mit der Aufzucht ihres Nachwuchses beschäftigt und stellen daher auch keine ernstzunehmende Bedrohung mehr dar. Nicht dass ich mich jemals bedroht gefühlt hätte durch Zugezogene oder ernsthaft glaube, dass noch großartige Unterschiede zwischen Stadt- und Landbevölkerung bestehen. Ich bin mir ganz sicher, dass in der Berliner Peripherie mindestens genauso viel engstirniges Bauerntum vorhanden ist, wie in so mancher mittleren Großstadt.
Dreiviertel der deutschen Haushalte besitzt mittlerweile Zugang zum Internet und somit hat man auch in der mecklenburgischen Seenplatte oder in der sächsischen Schweiz Zugang zu kultureller Vielfalt, die lange Zeit nur den Städtern vorbehalten war. Trotz der digitalen Revolution ist ein eindeutiger Trend Richtung Stadt auszumachen. Seit 2008 leben weltweit mehr Menschen in Städten als auf dem Land.
Diesem Thema widmet sich derzeit die C/O Galerie und zeigt in Zusammenarbeit mit der Ostkreuz Agentur für Fotografie Zeugnisse der rasanten Urbanisierung unserer Welt.
(Bild: ostkreuz.de)
Den Auftakt macht Thomas Meyer, der ein Dubai zeigt, das so künstlich scheint wie ein 3D Rendering. Die Stadt, eine Glas- und Stahlbetonwüste, wirkt in seinen Fotografien so menschenfeindlich, wie die Umwelt, die sie umgibt. Die ab und an zu sehenden Menschen nehmen zwischen der monumentalen Szenerie eine Statistenrolle ein, wirken so nebensächlich wie auf einer architektonischen Entwurfszeichnung. Meyers Fotografien können als bezeichnend gelten für die Entfremdung, nicht nur von der Stadt, die sich ganz den Bedürfnissen ihrer Bewohner entzogen hat, sondern auch von der eigenen Vergangenheit als wanderndes Beduinenvolk.
(Bild: ostkreuz.de)
Der scheinbaren Utopie Dubais stellt Dawin Meckel die soziale Dystopie der ehemals bedeutenden Industriestadt Detroit entgegen, die sich mit dem Niedergang der amerikanischen Automobilindustrie, langsam aber sicher, zur Geisterstadt entwickelt. Meckel zeigt eine Stadt, die mitsamt ihren Bewohnern dem Vergessen preisgegeben ist. Der Anblick der Portraitierten, die scheinbar ziellos in den verwaisten Straßen umherirren, weckt spontane Assoziationen mit postapokalyptischen Zombiestreifen á la 28 Days Later. Der „Big Gulp“ Becher auf dem Küchentisch kann nur noch als ein zynischer Kommentar auf den American Way of Life gesehen werden, der sich in Detroit in ein American Nightmare verwandelt hat.
(Bild: ostkreuz.de)
Keine klagenden Mütter, keine verkohlten Leichen, keine brennenden Häuser. Heinrich Voelkel verzichtet ganz bewusst auf „Große-Kulleraugen-Fotos“ und setzt der allgemein eher emotionalen Berichterstattung aus Krisengebieten eine nüchtern kritische Bestandsaufnahme des Lebens im Gaza Streifen, nach der israelischen Militäroffensive im Dezember 2008, gegenüber. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Trümmerarchitektur und wie sich die Bewohner mit ihr notgedrungen arrangieren, indem sie beispielsweise die eingestürzte Hauswand einfach durch die Schrankwand ersetzen. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir das Bild von dem Sternenhimmel, der sich bei genauer Betrachtung als Ruß-geschwärzte und mit Einschusslöchern übersäte Decke herausstellt. Es strahlt eine seltsam anmutende Art von Schönheit aus, für die ich mich fast schon schäme, sie entdeckt zu haben. Jedoch hatte ich beim Betrachten der Bilder nie das Gefühl, gleich in die Sentimentalitätsfalle zu tappen. Voelckel zeigt keine gelähmten Opfer, sondern starke Menschen, die die Hoffnung nicht aufgeben wollen.
(Bild: ostkreuz.de)
Die bulgarische Fotografin Pepa Hristova widmet sich in ihrer Arbeit der Identitätssuche, ihrer eigenen und die, der von ihr portraitierten Tokioter.
Aufgrund der strengen sozialen Normen suchen Japaner oftmals einen Ausgleich in der Annahme einer Phantasieidentität, die sie beispielsweise im traditionellen No-Theater oder verkleidet als ihre Lieblingscomicfigur ausleben, um somit ihrem straff organisierten Alltag für einen kurzen Moment entfliehen zu können.
Der Hundebesitzer, der sich wie ein japanischer Siegfried oder Roy inmitten seiner zwei riesigen weißen Hunde hat ablichten lassen, wirkt zwischen den für den westlichen Geschmack exzentrischen Rollenspielern so seltsam normal und angepasst und ist trotzdem bei weitem devianter, einfach
aufgrund der Tatsache, dass die Fantasiewelt der Rollenspieler ebenso strengen Normen und Regeln unterworfen ist, wie die reale Welt.
(Bild: ostkreuz.de)
Einziger Wermutstropfen, der ansonsten überaus gelungenen Ausstellung, stellt Andrej Krementschouks Fotoserie dar. Während Detroit den Anschein einer Postapokalyptischen Stadt gibt, handelt es sich bei Prypjat um eine Tatsache. Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl von seinen Bewohner verlassen, liegt die Stadt nun seit fast 25 Jahren im atomaren Dornröschenschlaf.
Krementschouks Aufnahmen zeigen geplünderte Büros, sozialistische Wandgemälde, vergilbte Portraits von hochrangigen Parteifunktionären - nichts, was man nicht auch schon woanders gesehen hat. Vor allem in Zeiten, in denen jeder Depp gegen ein gewisses Entgelt, bewaffnet mit DSLR und Geigerzähler durch Prypjat wandern kann, stellt das schon eine enttäuschend schwache Leistung dar.
Doch insgesamt betrachtet, also inklusive der Fotografen, die an dieser Stelle unerwähnt bleiben, handelt es sich um eine wunderbar kuratierte Ausstellung, deren Besuch ich uneingeschränkt weiterempfehle.
Hab gelacht über "Einziger Wermutstropfen" Andrej Krementschouk). Darum ist der Typ raus aus Ostkreuz... Das ist schon eine enttäuschend schwache Leistung sein Werk auf Zeiten, in denen jeder Depp gegen ein gewisses Entgelt, bewaffnet mit DSLR und Geigerzähler durch Prypjat wandern kann. "Chernobyl Zone" ist eine komplexe und intelligente Triologie. http://www.amazon.de/Chernobyl-Zone-I-Andrej-Krementschouk/dp/3868282009/ref=pd_rhf_gw_p_img_1
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